[EMIA] Neue Gruppenfreistellungsverordnung und Vertikal-Leitlinien – Europäische Kommission lehnt MAP ab, ebnet aber andere und neue Wege für den Wettbewerb

Die Europäische Kommission hat die neue Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Vereinbarungen („Vertikal-GVO“) angenommen, die durch die neuen Vertikal-Leitlinien ergänzt wird. Die beiden überarbeiteten Regelwerke treten am 1. Juni 2022 europaweit in Kraft. Ihre Geltungsdauer endet jeweils am 31. Mai 2034. Diese Verordnung ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat. Die neuen Vorschriften sehen eine Übergangsfrist von einem Jahr für bestehende Verträge vor.

Lieferanten und Händler entlang der Vertriebskette sind nun gut beraten, ihre bestehenden Verträge daraufhin zu überprüfen, ob sie in Einklang mit den neuen Regeln stehen. Die EMIA arbeitet intensiv daran, dass die EU-Kommission ein besseres Verständnis für die Herausforderungen im MI-Markt bekommt. Genau deshalb bieten die aktuellen Änderungen der Vertikal-Leitlinien jetzt auch neue und weitere Möglichkeiten und Spielraum zur Geschäftsentwicklung. So bieten das Dual Pricing, Agenturverträge, Exklusivvertriebssysteme oder aber auch das RPM und (MAP) neue Möglichkeiten im Wettbewerb an.

Ein MAP, wie er zunächst im Entwurf der Leitlinien (MAP; Rdnr. 174) vorgesehen war und von EMIA und anderen Interessengruppen auf dem europäischen Markt gewünscht wurde, ist leider nicht genehmigt worden und kann nicht im herkömmlichen Sinne (wie z. B. in den USA) angewandt werden. Letztlich war der Druck von Verbrauchergruppen und einigen Stakeholdern auf die EU-Kommission und die Generaldirektion Wettbewerb (DG COMP) zu stark. Die Empfehlung des EU-Parlaments wurde von der EU-Kommission nicht in vollem Umfang berücksichtigt, veranlasste die Kommission aber, einige ihrer Positionen zum MAP und zu anderen wichtige Punkten hinsichtlich des Wettbewerb für KMUs in den neuen Leitlinien zu überdenken.

Gleichwohl hat die EU-Kommission unsere Bemerkungen, schriftlichen Eingaben und Stellungnahmen aufmerksam zur Kenntnis genommen. Sophie Moonen (Head of Unit – A1 Antitrust case support and policy / Directorate-General for Competition) teilte uns Tage vor der endgültigen Verabschiedung in einem persönlichen Schreiben mit, dass neue Leitlinien eingeführt werden, die die bisherigen flexibler machen und gegebenenfalls auch Türen für unseren Sektor öffnen. Umso spannender ist es deshalb, dass ein MAP dann doch in den neuen Leitlinien auftaucht und möglicherweise zufriedenstellend interpretiert werden kann. So heisst es in den neuen VBER-Leitlinien [197 (c)]:

„A minimum resale price or MAP can be used to prevent a particular distributor from using the product of a supplier as a loss leader. Where a distributor regularly resells a product below the wholesale price, this can damage the brand image of the product and, over time, reduce overall demand for the product and undermine the supplier’s incentives to invest in quality and brand image. In that case, preventing that distributor from selling below the wholesale price, by imposing on it a targeted minimum resale price or MAP may be considered on balance pro-competitive.“

Darüber hinaus sind Preisbindungen der zweiten Hand bzw. eine Werbepreisbindung (MAP) in Ausnahmefällen zugelassen, wenn sie sich insgesamt wettbewerbsfördernd auswirken, so z. B:

  • Als Teil einer zeitlich begrenzten Preiskampagne zur Unterstützung einer neuen Produkteinführung, wenn es keine realistischen und weniger restriktiven alternativen Mittel gibt, um den Wiederverkäufern einen Anreiz zu geben, das Produkt zu bewerben.
  • Als Teil einer koordinierten kurzfristigen Niedrigpreiskampagne, insbesondere wenn der Lieferant ein einheitliches Vertriebsformat in seinem Einzelhändlernetz anwendet.
  • Zum Schutz von Einzelhändlern, die in zusätzliche Vorverkaufsdienste investieren (z. B. bei komplexen Produkten), vor Trittbrettfahrern.


Die Graubereiche der neuen Leitlinien für diese potenziellen MAP-Ausnahmen sind hoch und bergen immer noch erhebliche Unsicherheiten und potenziell hohe Risiken. Nun muss sich jeder EU-Mitgliedstaat eingehender mit den neuen Vorschriften befassen und herausfinden, wie sie durchgesetzt werden können, ohne dass es zu rechtlichen Problemen kommt. EMIA wird einige dieser Aspekte prüfen, die dann von den nationalen und lokalen Behörden sowie von Rechtsberatern offiziell verifiziert und bestätigt werden müssen.

Eine weitere Klarstellung: Die neuen Vorschriften besagen nun auch, dass es keine Preisbindung der zweiten Hand darstellt, wenn ein Lieferant eine Preisvereinbarung mit einem bestimmten Kunden abschließt und dann eine Vereinbarung mit einem Wiederverkäufer eingeht, den er zum Zweck der Ausführung ("Erfüllung") dieser Liefervereinbarung ausgewählt hat und der dann an den bereits vereinbarten Preis gebunden ist.

Darüber hinaus wird es mit den neuen Leitlinien möglich sein, das geforderte Dual Pricing dauerhaft anzuwenden. Auch hierfür hatte sich die die EMIA in den Forderungen stark gemacht. Dies ist ein Bereich, in dem die neuen Vorschriften eine wesentliche Änderung darstellen und die Notwendigkeit eines gewissen Schutzes für den stationären Handel deutlich machen. Es wird nicht länger eine Kernbeschränkung des Wettbewerbs darstellen, wenn ein hybrider Verkäufer unterschiedliche Großhandelspreise für die Produkte verlangt, die er in seinen Ladengeschäften verkauft, im Vergleich zu denen, die er online verkauft.

Des Weiteren – und darin sehen wir eine große Chance für den gesamten Sektor – wurde das Thema der Agenturverträge innerhalb der neuen Leitlinien überarbeitet und ausgeweitet. Insbesondere erläutern die Leitlinien nun, unter welchen Umständen ein kombinierter Händler-/Handelsvertretervertrieb (z. B. Trennung zwischen Basis- und Premium-Produkten) zulässig ist.

Die neuen GVO-Leitlinien führen viele wichtige Neuerungen ein, die dem MI-Markt im Wettbewerb sicherlich helfen können: EMIA war in diesem Zusammenhang ein wichtiger politischer Interessenvertreter bei diesen neuen Vorschriften. Nun führt EMIA zusammen mit externen Beratern eine detaillierte Analyse aller neuen Leitlinien durch, um ihre Risiken zu bewerten und vor allem zu prüfen, wie sie tatsächlich ohne mögliche Sanktionen angewendet werden können. Nur eine Allianz wie EMIA kann eine solche Arbeit im Namen der MI-Branche leisten.

Wir werden Sie über die Arbeit der EMIA auf dem Laufenden halten, sobald wir weitere Einzelheiten über die Umsetzung dieser neuen Leitlinien auf unserem europäischen Markt erfahren.